Unsere Muskeln reagieren unterschiedlich auf eine Fehl- bzw. Überlastung. Muskeln, die vorwiegend unsere Haltung stabilisieren (tonische Muskulatur), verkürzen sich, während die Muskeln, die unsere Bewegung steuern (phasische Muskulatur), sich abschwächen. Muskeln, die in beiden Gruppen eine wichtige Rollen spielen, verhalten sich indifferent.
Normalerweise besteht ein flexibles Gleichgewicht zwischen den beiden Muskelgruppen. Durch einseitige Belastung oder eine Verletzung geht das Gleichgewicht verloren. Der Körper versucht sich den veränderten Bedingungen anzupassen und die Beeinträchtigung auszugleichen. Zwei Beispiele mögen dies veranschaulichen: Menschen, die viel am Schreibtisch (Computer) sitzen, haben sehr häufig die Nacken- und obere Schultermuskulatur verspannt. Die Muskeln dieser Region reagieren auf die einseitige Belastung mit einer Verkürzung. Diese Verkürzung kann über einen langen Zeitraum unbemerkt bleiben. Die Beweglichkeit der Nacken-Schulter-Region nimmt ab, Schmerzen tauchen anfangs erst nach längerer Belastung auf. Schließlich ist die Muskulatur so verspannt, dass die Belastungsfähigkeit rapide sinkt. Es entwickelt sich ein Ruheschmerz evtl. kombiniert mit Kopfschmerzen. Die Veränderungen sind nun in der Regel auch sichtbar. Die Schultern werden hochgezogen, der Kopf ist meist zu einer Seite geneigt. Die Muskulatur kann nicht mehr flexibel reagieren, die Muskeln des Rumpfes versuchen zu kompensieren und werden ihrerseits in den funktionellen Veränderungsprozess einbezogen.
Ein anderes Beispiel. Die Muskulatur des Rückens spannt sich reflektorisch an, wenn ein Mensch Rückenschmerzen hat. Durch diese Reaktion versucht der Organismus die schmerzende Stelle zu stabilisieren und zu schützen. Eingeschränkte Bewegungen sind meist nur über eine Schonhaltung möglich. Der Patient erlernt ein bestimmtes Haltungsmuster, das noch funktioniert, wenn die Rückenschmerzen nicht mehr vorhanden sind. Wird die erworbene muskuläre Dysbalance nicht durch ein gezieltes Bewegungstraining ausgeglichen, wirkt sie fortan als destabilisierender Faktor.
Eine muskuläre Dysbalance setzt immer die Belastbarkeit des Bewegungsapparat herab. Gelenk- und Wirbelsäulenabschnitt werden vermehrt belastet, die Muskulatur selbst läuft Gefahr, schneller verletzt zu werden (z.B. Muskelzerrung).
Ein gezielter Übungsplan muss daher einerseits bestimmte Muskeln dehnen, andererseits gewisse Muskeln kräftigen. Dabei gilt der Grundsatz, dass Dehnen vor Kräftigen kommt, d.h. eine Kräftigung der abgeschwächten Muskelgruppen ist nur dann optimal möglich, wenn vorher die verkürzten Muskeln auf ihre normale Länge gedehnt worden sind.